Fluchtpläne
Die Flucht nach Varennes
(20. - 25.06.1791)
Seit dem 6. Oktober 1789 befand sich die Königliche Familie praktisch in der Gewalt des Volkes. Mit dem erzwungenem Umzug in die Tuilerien nach Paris waren der König und seine Familie fortan dem Willen des Volkes ausgeliefert. Zwar wurde der König weiterhin verehrt und er befand sich nun im Kreise seiner Untertanen, doch hatten eben diese Untertanen bewiesen, dass sie nicht vor Gewalt zurückschrecken.
Die Berater des Königs forderten diesen daher seit dem 6. Oktober 1789 immer wieder auf, zu fliehen, sich in Sicherheit zu bringen und dann von außen gestärkt gegen die Aufständischen vorzugehen, um sich die absolute Macht zurück zu erkämpfen.
Auch die Königin, die die Erniedrigungen des Volkes seit dem Umzug nach Paris äußerlich zwar unbeeindruckt ließen, innerlich aber nicht mehr ertrug, drängte ihren Gatten aus Angst um die Familie zur Flucht, um in den Österreichischen Niederlanden Schutz zu finden.
Doch lehnte der König eine solche Flucht stets ab - zu sehr misstraute er dem Hause Habsburg, aber auch seinen eigenen Reihen, denn aus diesen könnte sich ein Regent stark machen, während der König im Exil wäre. U.a. dachte er wohl an den Duc d'Orléans oder gar an den eigenen Bruder, den Comte de Provence.
1791 rückte dieser Gedanke aber wieder in den Vordergrund. Die Freiheiten der Königsfamilie wurden mehr und mehr eingeschränkt und ihr wurde bewusst, dass sie Gefangene einer nicht zu unterschätzenden Macht waren. Als am 18.04.1791 der alljährliche Osterausflug der Königsfamilie nach Saint-Cloud aus Furcht, der König könnte fliehen, von der Nationalversammlung und dem Pariser Volk verhindert wurde, war die persönliche Unfreiheit des Königs einmal mehr deutlich geworden.
Nun begann man also, tatsächlich eine Flucht vorzubereiten: eine Flucht ins noch sichere, königstreue und grenznahe Gebiet um Montmédy. Von hier aus wäre bei Gefahr eine Flucht ins sichere österreichische Exil in Luxemburg möglich.
Hauptinitiator der Königlichen Flucht war niemand geringeres als Graf Hans Axel von Fersen, dem man eine Liaison mit der Königin nachsagte. Mitte 1791 sollte er zum engsten Vertrauten des Königs und seiner Familie werden: Graf von Fersen sowie der Marquis de Bouillé, General der Truppen von Meuse, Sarre und Moselle, planten die große Flucht der Königsfamilie nach Metz.
Monatelang setzten sich die beiden der Gefahr der Aufdeckung aus, schleusten chiffrierte Briefe in die Tuilerien, fälschten Pässe und organisierten Unmengen von Geld, bis endlich ein Fluchtplan feststand.
Nichtsdestotrotz, die Flucht wurde mit allzuviel Leichtfertigkeit und Naivität geplant bzw. ausgeführt und sollte letztendlich scheitern...
nachfolgende Kapitel:
Der Fluchtplan
Der Fluchtverlauf
Die Folgen der Flucht
Der Fluchtplan
Der König, die Königin, die beiden Kinder sowie Madame Elisabeth und die Gouvernante Madame de Tourzel sollten während der Flucht zusammen reisen. Der Comte de Provence, Bruder des Königs, und dessen Gattin flohen - getrennt vom Königspaar, aber auch getrennt voneinander - ebenfalls aus Paris. Im Nachhinein wäre es auch für die Königsfamilie besser gewesen, sich aufzuteilen, um keinen Verdacht auf die recht große Reisegruppe zu lenken.
Die Kutsche der Königsfamilie war ein Reisewagen, der sich von Paris aus zunächst ins grenznahe Montmédy begeben sollte, um von dort im Notfall eine schnelle Weiterrreise in die Österreichischen Niederlande zu ermöglichen.
Um die Identität der Insassen der Kutsche zu verschleiern, nahmen die Reisenden andere Namen an:
Madame de Tourzel übernahm die Rolle der Herrin der Reisegesellschaft und reiste als russische Baronne de Korff.
Die "echte" Baronin von Korff - auf deren Name die Reisekutsche auch erworben wurde - hatte sicherheitshalber vorab dieselbe Strecke mit der gleichen Anzahl von Begleitern abgefahren und wurde nirgends nach ihrem Pass gefragt.
Die Königskinder Louis-Charles und Madame Royale mimten die beiden Töchter der Baronin.
König Louis XVI verkleidete sich als Monsier Durand, den Kammerdiener der Baronin.
Königin Marie Antoinette reiste als Madame Rochet, die Gouvernante der Kinder der Baronin.
Madame Elisabeth mimte die Kammerfrau der Baronin.
Weiterhin gehörten drei Leibgardisten des Königs - die Messieurs Malden, Moustier und Valory - zur Reisegesellschaft sowie der Graf von Fersen, der selbst die Kutsche lenkte.
Der Marquis de Bouillé wartete hinter Châlons auf die Flüchtenden, um sie von dirt mithilfe seiner Soldaten sicher nach Montmedy zu begleiten.
Der Fluchtverlauf
Den Memoiren der Madame de Tourzel verdanken wir heute die Details der Flucht und ihres Verlaufs.
Die Flucht war gespickt von kleinen, aber nicht unbedeutenden Zwischenfällen. Die eigentliche Abreise aus Paris war ursprünglich für den 12. Juni 1791 vorgesehen, wurde jedoch zunächst auf den 15. Juni verschoben und letztlich auf den Montag, 20. Juni 1791.
Montag, 20. Juni 1791
Marie Antoinette und ihre Kinder gaben sich die Tage vorher große Mühe, keinen Verdacht zu erregen; noch am Abend der Abreise waren sie im Tuilerien-Garten spazieren gegangen. Die Königin gab anschließend Anweisungen für eine kleine Ausfahrt am 21. Juni und zog sich dann in ihre Gemächer zurück.
Dort verkleidete sich die Königsfamilie entsprechend ihrer Rollen in der Reisegesellschaft - dem Thronfolger wurden Mädchenkleider angezogen, da er eine der Töchter der Baronin Korff spielen sollte.
22:30 Uhr
Madame Brunier und Madame Neuville, die beiden Ersten Damen der Madame Royale und des Dauphins verließen zu dieser Zeit die Tuilerien und begaben sich nach Claye-Souilly, wo sie sich später der königlichen Kutsche anschließen sollten.
Zur gleichen Zeit bezogen 180 Dragoner unter dem Kommando von Colonel de Damas in Clermont-en-Argonne und in einem Dorf nahe Auzéville-en-Argonne Quartier. Ebenso wurden 40 Husaren unter dem Kommando von Leutnant Boudet in Sainte-Menehould stationiert.
Sie sollten sich am Folgetag in Pont-de-Somme-Vesle, dem nächsten Zwischenstopp der Reisegesellschaft nach Châlons-en-Champagne, dem Königspaar anschließen.
22:50 Uhr
Graf von Fersen verließ zu diesem Zeitpunkt gemeinsam mit den Königskindern und deren Gouvernante Madame de Tourzel die Tuilerien, um zum Schein eine abendliche Kutschfahrt zu veranstalten. Er lenkte die kleine Kutsche um den Louvre herum, an den Kais vorbei und positionierte diese anschließend in der Rue de l'Echelle, seitlich dem Louvre, an einem Personalausgang, um dort auf das Königspaar und Madame Elisabeth zu warten.
Madame Elisabeth erschien alsbald gemeinsam mit einem der drei Leibgardisten, die die Reisegesellschaft begleiteten.
23:30 Uhr
Als Marie Antoinette und Louis XVI vorgaben, nach dem üblichen Zeremoniell zu Bett zu gehen, kündigten sich unerwartet der General Lafayette und der Bürgermeister Bailly zu einer Abendaudienz in den Tuilerien an.
Dadurch konnte das Königspaar nicht zum vereinbarten Zeitpunkt den Palast verlassen.
Dienstag, 21. Juni 1791
00:10 Uhr
Der als Kammerdiener verkleidete König verließ endlich den Palast und erreichte die kleine Kutsche in der Rue de l'Echelle. Nun fehlte nur noch die Königin.
00:35 Uhr - Abreise aus Paris
Marie Antoinette stieß schließlich gegen 00:35 Uhr zur Reisegesellschaft dazu, so dass die Flucht beginnen konnte.
01:50 Uhr
Außerhalb von Paris wartete schließlich der eigentliche Reisewagen auf die Königsfamilie - eine geräumige, sechsspännige Kutsche, die jedoch weit auffälliger war. Der Zeitplan war bereits um 1½ Stunden verzögert. Um keine weiteren Verzögerungen zu riskieren, entschied sich Graf von Fersen, die Kutsche selbst zu lenken.
02:30 Uhr - Bondy bei Paris
Nach dem Umstieg in den Reisewagen fand ein Stopp zum ersten Pferdewechsel in Bondy, nicht weit von Paris entfernt, statt. Hier verabschiedete sich das Königspaar von Graf von Fersen. Der König wollte den treuen Helfer lieber in Sicherheit wissen und entließ ihn aus seinen Diensten. Dank dem Engagement des Grafen war eine erste große Hürde geschafft: die Königsfamilie konnte unbemerkt aus dem gut bewachten Paris fliehen.
Von Fersens Plan sah nun weiter vor, dass die Königliche Familie an diversen Zwischenstopps von treuen Royalisten mit neuen Pferden ausgestattet würden. Ohne weitere Zeitverzögerungen dürfte der Rettung nichts mehr im Wege stehen.
Und so verließ von Fersen seine Schützlinge. Während diese weiter Richtung Osten fuhren, brach der Graf nach Norden in Richtung Mons in Belgien auf.
04:00 Uhr - Claye-Souilly
Eine kleine Kutsche mit den beiden Mesdames Brunier und Neuville stieß zu dieser Stunde wie geplant zur Reisegesellschaft hinzu.
07:00 Uhr
Der Kammerdiener des Königs bemerkte gegen 7 Uhr morgens, dass sich dieser nicht in seinen Gemächern in den Tuilerien aufhält.
Zu etwa derselben Zeit verließ der Comte de Provence gemeinsam mit dem befreundeten Monsieur d’Avaray die Stadt Paris. Problemlos gelang den beiden die Flucht über Maubeuge und Avesnes-sur-Helpe bis ins belgische Mons.
Hier vereinte sich der Prinz mit einer Gruppe französischer Exilanten. Tags darauf, am 22. Juni, erreichte auch der Graf von Fersen Mons. Man erwartete ihn dort bereits im Gasthaus "La Femme Sauvage". Seine Ankunft wurde bejubelt, denn man sah die Königliche Flucht als geglückt an.
Diese verlief währenddessen jedoch alles andere als glücklich...
08:00 Uhr
Gegen 8 Uhr morgens verbreitete sich in Paris bereits die Nachricht von der Flucht des Königs wie ein Lauffeuer. Die Nationalversammlung entschied sich jedoch dafür, nicht die Flucht, sondern die "Entführung" des Königs bekanntzugeben.
In ihren Memoiren beschrieb Madame de Tourzel, dass der König schon am Morgen auf seine Uhr geschaut hatte und scherzend meinte: "Lafayette fühlt sich jetzt gar nicht wohl in seiner Haut."
10:00 Uhr
Gegen 10 Uhr bezogen 60 Husaren des Lauzun-Regiments unter dem Kommando von Leutnant Röhrig im Franziskaner-Kloster in Varennes-en-Argonnex Quartier. 100 weitere Husaren unter dem Kommando von Major Deslon bezogen in Dun-sur-Meuse, ca. 24 km von Varennes entfernt, ihren Posten. Und auch die 40 Husaren von Monsieur Boudet, die die Königsfamilie in Pont-de-Somme-Ves, hinter Châlons, in Empfang nehmen sollten, hielten sich bereit.
Währenddessen erreichte die Königskutsche Vieil maisons. Hier erkannte der Gastwirt François Picard den König und informierte die naheliegenden Postämter und Stallknechte.
11:00 Uhr - Montmirail
Die Königskutsche erreichte gegen 11 Uhr Montmirail. Vom ursprünglichen Zeitplan war die Königsfamilie jetzt schon um die drei Stunden entfernt.
Lafayette entsendete zu dieser Zeit aus Paris Kuriere in alle Himmelsrichtungen, um die Königsfamilie einzuholen.
In Sainte-Menehould und Clermont-en-Argonne sorgten sich die Bewohner währenddessen wegen der Ankunft der Husaren.
14:30 Uhr - Chaintrix
Der Postmeister erkannte den König bei dessen Stopp in Chaintrix.
Beim Verlassen von Chaintrix stürzten die Pferde der Reisekusche - es ist das zweite Mal. Dabei rissen die Zügel; die Reparatur dauerte länger als eine Stunde.
16:00 Uhr - Châlons-en-Champagne
Von Briges (bei Chaintrix) begab sich ein Husar auf den Weg zum König, um sich diesem anzuschließen.
Zu gleichen Zeit erreichte die Kutsche über die Avenue de Paris die Stadt Châlons-en-Champagne. Sie überquerte die Marne und nahm die Rue de Marne.
Mit einer vierstündigen Verspätung passierte die Reisegesellschaft das Postamt in der Rue Saint Jacques (heute die Rue Léon Bourgeois).
Anschließend nahm die Kutsche die Weiterfahrt Richtung Sainte-Menehould auf.
Inzwischen wurden die Husaren des Lauzun-Regimentes in Pont-de-Somme-Vesle, kurz hinter Châlons, unruhig. Noch immer warteten sie auf die Königskutsche. Die erheblich verzögerte Abreise, die Dauer der Reparatur der Kutsche, aber auch die nicht einberechnete Schwere der großen Reisekutsche, die weit langsamer fuhr als erwünscht, sorgten für großes Unbehagen innerhalb der Truppen. Ihre Anwesenheit hatte zudem für skeptische Blicke in der dortigen Bevölkerung gesorgt.
Da man befürchten musste, dass die umliegenden Dörfer Alarm schlagen, ordnete der junge Herzog Claude-Antoine-Gabriel de Choiseul den Rückzug an. Die Soldaten sollten die Wege meiden und sich über die Felder nach Varennes begeben.
Die Königsfamilie war nun völlig auf sich allein gestellt.
17:00 Uhr
Bayon, ein Bote des Generals, erreichte Briges. Er war 6 ½ Stunden ohne Pause geritten. Nun musste er vor Erschöpfung pausieren. Gegen 19:45 Uhr verließ der Bote Briges wieder. Er hatte inzwischen einen Postjungen aus Lagny mit der Nachricht über die Königsflucht nach Sainte-Menehould entsendet.
19:55 Uhr - Sainte-Menehould
Es war kurz vor 20 Uhr, als die kleine Kutsche der Mesdames Brunier und Neuville und die ReiseKutsche der Königsfamilie den Ort Sainte-Menehould zu einem weiteren Pferdewechsel erreichten. Hier wendete sich schließlich das Blatt:
Der König schien die Gefahr vergessen zu haben, als er sich während eines Gespräch mit seinem Leibgardisten vor dem Posthaus unvorsichtig aus dem Wagenfenster lehnte. Der ortsansässige Postmeister Jean-Baptiste Drouet, der gerade vom Feld zurückkam, meinte, den König erkannt zu haben. Drouet hatte sich einige Zeit in Versailles aufgehalten und der Legende nach habe das Gesicht des "Kammerdieners" der Reisegesellschaft einem Bildnis des Königs geglichen.
Doch war er sich nicht recht sicher und so riet ihm seine Frau, diesen Verdacht nicht zu äußern.
Drouet fällt die Ähnlichkeit des "Kammerdieners"
mit dem Bildnis des Königs auf
Jean Baptiste Drouet
In seiner Zeugenaussage vor der Nationalversammlung wird Drouet am 24. Juni 1791 behaupten, dass er meinte, erst die Königin wiedererkannt zu haben und schließlich auch den Mann, der links in der Kutsche saß - der König.
20:10 Uhr - Clermont-en-Argonne
Die beiden Kutschen verließen Sainte-Menehould unbehelligt und reisten weiter in Richtung Clermont-en-Argonne. Dort sollten sie auf die Dragoner-Truppe des Comte de Damas treffen. Die Dragoner hatten sich jedoch zwischenzeitlich mit der Bevölkerung vereinigt, lehnten daher die Anordnungen von Damas ab und ließen die Reisegesellschaft alleine weiterziehen.
Damas, der um ein Gespräch mit dem König bat, erhielt von diesem die Bitte, die falsche Identität der Reisegruppe aufrecht zu erhalten und dieser daher nur aus sicherer Distanz zu folgen. Damas befolgte den Befehl, ihn begleiteten jedoch nur noch wenige Soldaten.
21:00 Uhr - Nachricht aus Paris
Die Königskutsche nahm zu dieser Zeit den Weg nach Varennes-en-Argonne. Hier sollten die Pferde für die Weiterfahrt nach Verdun bereitstehen und einige Reiter als Eskorte.
Die Nachricht des Pariser Boten erreichte inzwischen den Postmeister Drouet in Sainte-Menehould, der sich nun in seiner Ahnung bestätigt sah. Gemeinsam mit seinem Freund Jean-Chrisosthome Guillaume ritt er augenblicklich los, durch den Wald von Argonne, vorbei am Dort Islettes in Richtung des benachbarten Varennes. Hier vermuteten sie die Königskutsche.
In Sainte-Menehould wurden die Dragoner von der Bevölkerung entwaffnet, ohne Gegenwehr zu leisten.
22:50 Uhr - Varennes
Die Kutsche der Königsfamilie stoppte zum nächsten Pferdewechsel kurz vor Varennes. Doch befanden sich weder die Reitereskorte noch die Tauschpferde an der vereinbarten Stelle. Und so sah sich der Kutscher gezwungen, in die Stadt weiterzufahren, um dort einen Pferdewechsel zu ermöglichen.
Die Reisegesellschaft klopfte in Varennes an der Tür des Monsieur de Préfontaines, doch auch diesem war nichts von einem Pferdewechsel bekannt. Man beschloss also, den Wechsel der Pferde an einem anderen Ort in Varennes zu vollziehen - auf der anderen Uferseite des Flusses Aire.
22:55 Uhr
Drouet und sein Begleiter konnten zwischenzeitlich unbemerkt die Kutsche der Flüchtlinge überholen und informierten schleunigst den Stadtverwalter Jean-Baptiste Sauce über die Vorkommnisse. Man beeilte sich sodann, die Brücke Pont de l’Aire zu verbarrikadieren, über die die Kutsche beim Verlassen der Stadt fahren musste. Die Nationalgarde von Varennes wurde mobilisiert und deren Kommandant, der spätere Général Radet, ließ zwei Kanonen nahe der Brücke aufstellen.
23:10 Uhr
Es war gegen 23:10 Uhr, als die beiden Reisekutschen der Königsfamilie und ihrer Begleiter noch vor der Brücke, in Höhe des Gewölbes der Kirche Saint-Gégoult, angehalten werden.
Jean-Baptiste Sauce forderte nun - unter dem Druck der Bevölkerung, die sich in der Schenke "Bras d’or" eingefunden hatten - die Reisenden auf, die Kutschen zu verlassen und führte die Flüchtlinge in sein Haus, das sich nur wenige Meter entfernt befand. Die Flucht war aufgedeckt !
Kurz darauf erschienen auch die Abgesandten aus Paris, Bayon und Romeuf, aber auch die Husaren von Choiseul und Goguelat.
Mittwoch, 22. Juni 1791
00:30 Uhr
Inzwischen hatte Sauce den Richter Destez herbeiholen lassen, der etliche Jahre in Versailles gelebt hatte. Dieser warf einen Blick auf den König, beugte das Knie und rief aus: "Oh Sire !"
Louis XVI gab daraufhin die Tarnung der Königsfamilie auf.
Der König erkannte, dass die Leute plötzlich Angst bekamen - er war schließlich der Vater aller Franzosen - und so umarmte er Sauce und nacheinander alle Mitglieder der spontan gebildeten Wache. Dann erklärte er ihnen, warum er Paris verlassen hatte.
Die mittlerweile eingetroffenen Husaren, die sich bislang im Franziskaner-Kloster aufhielten und zum Schutze der Königsfamilie vorgesehen waren, stellten sich nun auf die Seite des Volkes.
Die Husaren des Herzogs von Choiseul nahmen derweil vor dem Haus des Monsieur Sauce als Leibwächter Stellung auf. Hier verbrachte die Königliche Familie unter Bewachung die Nacht. Vergeblich hatte der König dem Hausherren befohlen, die Familie weiterfahren zu lassen.
Im Auftrag Choiseuls begab sich der Leutnant Röhrig in Richtung Stenay (Département Meuse), um den dort stationierten und wartenden Marquis de Bouillé über das Schicksal der Königsfamilie zu informieren.
Währenddessen machte sich der Chirurg Mangin auf den Weg nach Paris, um die Nachricht vom Ende der Königsflucht zu überbringen.
03:00 Uhr
Leutnant Röhrig erreichte zu dieser Zeit die Gemeinde Dun-sur-Meuse, wo die Husaren-Einheit des Majors Deslon stationiert war, und berichtete diesem von den Ereignissen in Varennes. Sofort brach das Husaren-Schwadron unter Deslons Kommando nach Varennes auf, um den König zu befreien.
05:30 Uhr
Gegen 05:30 Uhr kam Deslons Truppe schließlich in Varennes an, doch gelangte das Schwadron nicht ins abgeriegelte Dorf. Deslon machte sich daher allein auf den Weg zur Königsfamilie und traf diese schließlich auch. Er schlug dem König in dieser bitteren Stunde vor, dass sich jeder ein eigenes Pferd nehmen und so flüchten solle. Vor der Stadt würden einige königstreue Husaren zur sicheren Eskorte bereitstehen.
Der König war jedoch bedacht auf die Sicherheit seiner Lieben und lehnte dankend ab:
"Sie haben 40 Mann, aber sieben- bis achthundert, größtenteils bewaffnete Männer befinden sich auf der Straße. Wer garantiert mir, dass die Königin, meine Kinder oder meine Schwester in einem so ungleichen Kampf nicht von einer Kugel getroffen werden ?"
Louis XVI wollte lieber auf die Ankunft der Truppen des Marquis de Bouillé warten.
07:00 Uhr
Gegen 7 Uhr trafen die Varenner Nationalgarde mit den Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung im Haus von Monsieur Sauce ein und beschlossen, die Königsfamilie nach Paris zurück zu bringen.
07:45 Uhr - Rückfahrt nach Paris
Die Rückreise nach Paris begann gegen 07:45 Uhr.
Alarmiert von läutenden Glocken, kamen immer mehr Menschen, die den Zug der "Gefangenen" begleiteten. Der Duc de Choiseul und der Comte de Damas, die die Königsfamilie begleiten und schützen wollten, wurden von der Menge zurückgehalten.
Auch der letzte Versuch des Majors Deslon, seine Männer in die Stadt zu bringen, um die Königsfamilie zu befreien, scheiterte. Er konnte keinen freien Weg finden, über den er seine Truppen hätte über den Fluss führen können.
Auf das Königliche Regiment des Marquis de Bouillé wartete man vergeblich. Es erreichte Varennes erst gegen 9 Uhr...
Die lange und demütigende Rückreise der Königsfamilie nach Paris begann also am frühen Morgen des 22. Juni.
Louis XVI, Marie Antoinette, Madame Elisabeth, die Kinder Frankreichs und Madame de Tourzel waren während der Fahrt schlimmen Beschimpfungen ausgesetzt und gegenüber den Leibgardisten, die auf dem Kutschbock saßen, wurde die wütende Menge sogar handgreiflich.
Die Fahrt verlief zunächst im Schritttempo, weil die Kutsche von der zu Fuß marschierende Nationalgarde sowie einer riesigen Menschenmenge begleitet wurde.
22:00 Uhr
In Paris hatte zwischenzeitlich Mangin die Nachricht von der Festsetzung der Königsfamilie in Varennes überbracht. Die Nationalversammlung ernannte daraufhin drei Kommissare, die die Rückführung der Geflohenen nach Paris organisieren sollten: Antoine Barnave, Jérôme Pétion de Villeneuve und Charles César de Fay de La Tour-Maubourg.
23:00 Uhr - Châlons-en-Champagne
Durch das Tor Sainte Croix erreichte die Königsfamilie auf ihrer Rückreise Châlons-en-Champagne, wo die Übernachtung im Hôtel de l'Intendance geplant war.
Das Tor Sainte Croix wurde einst, am 11.05.1770, zu Ehren Marie Antoinettes eingeweiht, als diese als Thronfolgerin von Frankreich ihre neue Heimat betrat.
Donnerstag, 23. Juni 1791
12:00 Uhr
Der königliche Tross verließ zur Mittagszeit die Stadt Châlons-en-Champagne. Zuvor hatte die Königsfamilie eine Delegation der Stadt, unter der Führung von Louis Joseph Charlier, empfangen und an der Messe teilgenommen.
16:00 Uhr - Epernay
Der Zug erreichte am Nachmittag Epernay, wo die Königsfamilie zu Abend aß.
17:30 Uhr - Dormans
Die drei Abgeordneten der Pariser Nationaversammlung, schlossen sich in Boursault - zwischen Epernay und Dormans - dem Reisezug an.
In Dormans wurde schließlich das Nachtquartier bezogen.
In Paris beantragte der Club der Cordeliers zwischenzeitlich die Einrichtung einer französischen Republik.
Freitag, 24. Juni 1791
06:00 Uhr
Am frühen Morgen setzte sich der Tross von Dormans aus in Bewegung und stoppte am Abend zum nächsten Nachtquartier in Meaux.
In Paris forderte eine Pétition mit 30.000 Unterschriften die Republik.
Samstag, 25. Juni 1791
07:00 Uhr
Die Königsfamilie verließ Meaux gegen 7 Uhr und befand sich nun auf dem direkten Weg zurück in die Hauptstadt.
Dort hatte sich schon in der Morgendämmerung eine riesengroße Menschenmenge in Richtung Meaux aufgemacht.
Paris wurde seit dem Bekanntwerden der Flucht von unzähligen gewalttätigen und beleidigenden Pamphleten gegen den König und die Königin überschwemmt.
14:00 Uhr - Villeparisis
Während die ersten Pariser Bürger die Kutsche des Königs erreichten, beschloss die Nationalversammlung in Paris die Suspendierung des Königs.
18:00 Uhr - Ankunft in Paris
Gegen 18 Uhr kam der Königszug auf den sogenannten "neuen Boulevards" (heute: Boulevards de La Chapelle, Rochechouart, Clichy etc.) an.
Um gewaltätige Massenansammlungen zu vermeiden, lenkte die Stadtverwaltung die Kutsche samt Begleiter um die Innenstadt herum, so dass sie über die Champs-Élysées und die Place de la Concorde zu den Tuilerien gelangten.
Die Nationalgarde hatte entlang dieser Route eine Art Allee gebildet, durch die die Kutsche hindurch fuhr. Lafayette führte die Nationalgarde an.
Die Szenerie glich einer Beerdigung. Es herrschte eisige Stille - die jedoch ausdrücklich angeordnet war:
"Quiconque applaudira le roi sera bâtonné,
quiconque l’insultera sera pendu."
zu Deutsch:
"Wer auch immer dem König applaudiere, werde mit Schlägen bestraft;
wer auch immer den König beleidige, werde gehängt."
Trotz der angeordneten Stille hörte man hier und da aus der riesigen Menge gelegentliche Rufe: "Vive Drouet ! Vive la Nation ! Vive la brave garde nationale !"
Die armen drei Leibgardisten Malden, Moustier und Valory wurden - mit den Händen hinterm Rücken gefesselt - während der Fahrt auf ihren Sitzen der Menge präsentiert.
22:00 Uhr - zurück in den Tuilerien
Gegen 22 Uhr erreichte die Kutsche schließlich die Tuilerien.
Hier endete die verordnete Stille plötzlich und die tödliche Wut des Volkes entfachte sich. Man wollte die Königin lynchen. Nur das beherzte Eingreifen des Ducs d'Aiguillon und des Vicomtes de Noailles rettete Marie Antoinette in letzter Sekunde das Leben.
Folgen der Flucht
Im Prinzip besiegelte diese Rückkehr in die Tuilerien das tragische Schicksal der Königsfamilie. Der Zusammenschluss der Monarchie mit der Verfassung und der Schwur des Königs auf die Verfassung am 14. September 1791 entschädigten nicht den vermuteten Verrat an Frankreich, für den die Flucht der Königsfamilie symbolisch war.
Die Königsflucht hatte der Revolution eine Wende beschert. Diejenigen, die die Abschaffung der Monarchie forderten, nutzten dieses Ereignis, um den König zum Feind der Revolution zu erklären.
Und schlussendlich diente die Flucht nach Varennes im Dezember 1792 als einer der Hauptanklagepunkte im Prozess gegen den König.
Karikatur zur Flucht der Königsfamilie
Am Morgen des 21. Juni 1791 hatte der Kammerdiener des Königs dessen Fehlen bemerkt. Auf dem königlichen Bett fand der Diener zudem einen 16-seitigen, mit der Handschrift des Königs versehenen Text, der mit "Déclaration à tous les Français" betitelt war. Darin rechtfertigte Louis XVI seine Abreise aus Paris.
Dieses traditionsgemäß "Testament politique de Louis XVI" bezeichnete Dokument wurde erst im Mai 2009 wiederentdeckt und befindet sich seitdem im Musée des Lettres et Manuscrits in Paris.
Sein, an die Franzosen gerichtetes Manuskript erläutert seinen politischen Willen: der König fordert eine konstitutionelle Monarchie mit einer mächtigen und autonomen Exekutivgewalt vis-à-vis zur Nationalversammlung.
Weiterhin beschreibt er sein Gefühl in Bezug auf die Revolution, kritisiert einige Folgen, ohne jedoch die erreichten Reformen der Revolution schlecht zu reden.
Zum Abschluss richtet er einen Appell an seine guten Pariser Bürger, sich nicht von den Lügen falscher Freunde beeinflussen zu lassen, sondern ihm, den König, ihrem Vater und Freund, zu vertrauen. Wie gerne würde er das Leid und die Beleidigungen vergessen und gemeinsam mit seinem Volk eine stabile und beständige Regierung errichten, die Freiheit auf festen und unerschütterlichen Grund zu setzten sowie dafür sorgen, dass das Gesetz nie wieder ungestraft übertreten werde:
"(...) Français, et vous surtout Parisiens, vous habitants d'une ville que les ancêtres de Sa Majesté se plaisaient à appeler la bonne ville de Paris, méfiez-vous des suggestions et des mensonges de vos faux amis, revenez à votre Roi, il sera toujours votre père, votre meilleur ami. Quel plaisir n'aura-t-il pas d'oublier toutes ces injures personnelles, et de se revoir au milieu de vous lorsqu'une Constitution qu'il aura acceptée librement fera que notre sainte religion sera respectée, que le gouvernement sera établi sur un pied stable et utile par son action, que les biens et l'état de chacun ne seront plus troublés, que les lois ne seront plus enfreintes impunément, et qu'enfin la liberté sera posée sur des bases fermes et inébranlables.
A Paris, le 20 juin 1791,
Louis."
Texte (Copyright) © MariaAntonia 2008-2017