Kapitel 9.4
Rückfahrt nach Paris
Die Rückreise nach Paris begann gegen 7:45 Uhr.
Alarmiert von läutenden Glocken, kamen immer mehr Menschen, die den Zug der "Gefangenen" begleiteten. Der Duc de Choiseul und der Comte de Damas, die die Königsfamilie begleiten und schützen wollten, wurden von der Menge zurückgehalten.
Auch der letzte Versuch des Majors Deslon, seine Männer in die Stadt zu bringen, um die Königsfamilie zu befreien, scheiterte. Er konnte keinen freien Weg finden, über den er seine Truppen hätte über den Fluss führen können.
Auf das Königliche Regiment des Marquis de Bouillé wartete man vergeblich. Es erreichte Varennes erst gegen 9 Uhr...
Die lange und demütigende Rückreise der Königsfamilie nach Paris begann also am frühen Morgen des 22. Juni.
Louis XVI, Marie Antoinette, Madame Elisabeth, die Kinder Frankreichs und Madame de Tourzel waren während der Fahrt schlimmen Beschimpfungen ausgesetzt und gegenüber den Leibgardisten, die auf dem Kutschbock saßen, wurde die wütende Menge sogar handgreiflich.
Die Fahrt verlief zunächst im Schritttempo, weil die Kutsche von der zu Fuß marschierende Nationalgarde sowie einer riesigen Menschenmenge begleitet wurde.
In Paris hatte zwischenzeitlich Mangin die Nachricht von der Festsetzung der Königsfamilie in Varennes überbracht. Die Nationalversammlung ernannte daraufhin gegen 22 Uhr drei Kommissare, die die Rückführung der Geflohenen nach Paris organisieren sollten: Antoine Barnave, Jérôme Pétion de Villeneuve und Charles César de Fay de La Tour-Maubourg.
Durch das Tor Sainte Croix erreichte die Königsfamilie auf ihrer Rückreise um 23:00 Uhr Châlons-en-Champagne, wo die Übernachtung im Hôtel de l'Intendance geplant war.
Das Tor Sainte Croix wurde einst, am 11.05.1770, zu Ehren Marie Antoinettes eingeweiht, als diese als Thronfolgerin von Frankreich ihre neue Heimat betrat.
Donnerstag, 23. Juni 1791
Der königliche Tross verließ um 12 Uhr mittags die Stadt Châlons-en-Champagne. Zuvor hatte die Königsfamilie eine Delegation der Stadt, unter der Führung von Louis Joseph Charlier, empfangen und an der Messe teilgenommen.
Der Zug erreichte am Nachmittag, gegen 16 Uhr Epernay, wo die Königsfamilie zu Abend aß.
Gegen 17:30 Uhr schlossen sich die drei Abgeordneten der Pariser Nationaversammlung in Boursault - zwischen Epernay und Dormans - dem Reisezug an.
In Dormans wurde schließlich das Nachtquartier bezogen.
In Paris beantragte der Club der Cordeliers zwischenzeitlich die Einrichtung einer französischen Republik.
Freitag, 24. Juni 1791
Am frühen Morgen des 24.06.1791 setzte sich der Tross gegen 6 Uhr von Dormans aus in Bewegung und stoppte am Abend zum nächsten Nachtquartier in Meaux.
In Paris forderte eine Pétition mit 30.000 Unterschriften die Republik.
Samstag, 25. Juni 1791
Die Königsfamilie verließ Meaux gegen 7 Uhr und befand sich nun auf dem direkten Weg zurück in die Hauptstadt.
Dort hatte sich schon in der Morgendämmerung eine riesengroße Menschenmenge in Richtung Meaux aufgemacht.
Paris wurde seit dem Bekanntwerden der Flucht von unzähligen gewalttätigen und beleidigenden Pamphleten gegen den König und die Königin überschwemmt.
Während die ersten Pariser Bürger gegen 14 Uhr bei Villeparisis die Kutsche des Königs erreichten, beschloss die Nationalversammlung in Paris die Suspendierung des Königs.
Gegen 18 Uhr kam der Königszug schließlich in Paris auf den sogenannten "neuen Boulevards" (heute: Boulevards de La Chapelle, Rochechouart, Clichy etc.) an.
Um gewaltätige Massenansammlungen zu vermeiden, lenkte die Stadtverwaltung die Kutsche samt Begleiter um die Innenstadt herum, so dass sie über die Champs-Élysées und die Place de la Concorde zu den Tuilerien gelangten.
Die Nationalgarde hatte entlang dieser Route eine Art Allee gebildet, durch die die Kutsche hindurch fuhr. Lafayette führte die Nationalgarde an.
Die Szenerie glich einer Beerdigung. Es herrschte eisige Stille - die jedoch ausdrücklich angeordnet war:
"Quiconque applaudira le roi sera bâtonné,
quiconque l’insultera sera pendu."
zu Deutsch:
"Wer auch immer dem König applaudiere, werde mit Schlägen bestraft;
wer auch immer den König beleidige, werde gehängt."
Trotz der angeordneten Stille hörte man hier und da aus der riesigen Menge gelegentliche Rufe: "Vive Drouet ! Vive la Nation ! Vive la brave garde nationale !"
Die armen drei Leibgardisten Malden, Moustier und Valory wurden - mit den Händen hinterm Rücken gefesselt - während der Fahrt auf ihren Sitzen der Menge präsentiert.
Gegen 22 Uhr erreichte die Kutsche schließlich die Tuilerien.
Hier endete die verordnete Stille plötzlich und die tödliche Wut des Volkes entfachte sich. Man wollte die Königin lynchen. Nur das beherzte Eingreifen des Ducs d'Aiguillon und des Vicomtes de Noailles rettete Marie Antoinette in letzter Sekunde das Leben.
Im Prinzip besiegelte diese Rückkehr in die Tuilerien das tragische Schicksal der Königsfamilie. Der Zusammenschluss der Monarchie mit der Verfassung und der Schwur des Königs auf die Verfassung am 14. September 1791 entschädigten nicht den vermuteten Verrat an Frankreich, für den die Flucht der Königsfamilie symbolisch war.
Die Königsflucht hatte der Revolution eine Wende beschert. Diejenigen, die die Abschaffung der Monarchie forderten, nutzten dieses Ereignis, um den König zum Feind der Revolution zu erklären.
Und schlussendlich diente die Flucht nach Varennes im Dezember 1792 als einer der Hauptanklagepunkte im Prozess gegen den König.
Karikatur zur Flucht der Königsfamilie
Am Morgen des 21. Juni 1791 hatte der Kammerdiener des Königs dessen Fehlen bemerkt. Auf dem königlichen Bett fand der Diener zudem einen 16-seitigen, mit der Handschrift des Königs versehenen Text, der mit "Déclaration à tous les Français" betitelt war. Darin rechtfertigte Louis XVI seine Abreise aus Paris.
Dieses traditionsgemäß "Testament politique de Louis XVI" bezeichnete Dokument wurde erst im Mai 2009 wiederentdeckt und befindet sich seitdem im Musée des Lettres et Manuscrits in Paris.
Sein, an die Franzosen gerichtetes Manuskript erläutert seinen politischen Willen: der König fordert eine konstitutionelle Monarchie mit einer mächtigen und autonomen Exekutivgewalt vis-à-vis zur Nationalversammlung.
Weiterhin beschreibt er sein Gefühl in Bezug auf die Revolution, kritisiert einige Folgen, ohne jedoch die erreichten Reformen der Revolution schlecht zu reden.
Zum Abschluss richtet er einen Appell an seine guten Pariser Bürger, sich nicht von den Lügen falscher Freunde beeinflussen zu lassen, sondern ihm, den König, ihrem Vater und Freund, zu vertrauen. Wie gerne würde er das Leid und die Beleidigungen vergessen und gemeinsam mit seinem Volk eine stabile und beständige Regierung errichten, die Freiheit auf festen und unerschütterlichen Grund zu setzten sowie dafür sorgen, dass das Gesetz nie wieder ungestraft übertreten werde:
"(...) Français, et vous surtout Parisiens, vous habitants d'une ville que les ancêtres de Sa Majesté se plaisaient à appeler la bonne ville de Paris, méfiez-vous des suggestions et des mensonges de vos faux amis, revenez à votre Roi, il sera toujours votre père, votre meilleur ami. Quel plaisir n'aura-t-il pas d'oublier toutes ces injures personnelles, et de se revoir au milieu de vous lorsqu'une Constitution qu'il aura acceptée librement fera que notre sainte religion sera respectée, que le gouvernement sera établi sur un pied stable et utile par son action, que les biens et l'état de chacun ne seront plus troublés, que les lois ne seront plus enfreintes impunément, et qu'enfin la liberté sera posée sur des bases fermes et inébranlables.
A Paris, le 20 juin 1791,
Louis."
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